Das waren die THEATERTAGE 2018

Vor einer Woche gingen die Heidelberger Theatertage mit der Preisverleihung des 21. Heidelberger Theaterpreises zu Ende. Zeit das diesjährige Festival Revue passieren zu lassen.

Feierlich eröffnet wurden die Theatertage am 24.10. von Korff / Ludewig. Mit Bastian _DSC3253Korff stand ein guter Freund unseres Festivals auf der Bühne. Der Sänger, Schauspieler und Radiomoderator gastierte mit seiner freien Theaterproduktion „Charlotte von Mahlsdorf – Ich mach ja doch, was ich will“ bereits bei uns im TiKK und lernte das Festival als Juror in den vergangenen  Jahren gut kennen. Somit war das Wiedersehen für alle eine große Freude.
Ein guter Auftakt!

In das Wettbewerbsprogramm starteten wir mit dem RED DOG THEATER aus Berlin. Ihre Stückentwicklung „Esel sucht Schwein“ nahm uns mit zu Marie und ihrer akribischen Suche nach dem perfekten Leben. Karriere, Haus, Liebe, Selbstverwirklichung, alles Themen, die uns alltäglich im Vergleich mit anderen und im medialen Umfeld fast schon verfolgen. Wir lachen mit Marie und ihren abenteuerlichen Datingerfahrung und wir sind nahe bei ihr,_DSC3411 wenn wir ihr Scheitern sehen oder sie bei ihrer Angst vor genau diesem beobachten müssen. Dabei entwickelt das Stück neben seinem großen Unterhaltungscharakter eben auch die nötige Tiefe, um den Themenkomplex der Gestaltung des eigenen Lebens, zwischen Traum und Realität, zu behandeln. Spannend war der Einsatz der verschiedenen Formen über Körpertheater, Objekttheater, Schauspiel, Puppentheater und Livemusik, die die Inszenierung über die Absurditäten der modernen Lebensführung zu einer äußerst sehenswerten machten.

Das Künstlerinnenkollektiv CAPTAIN KITCHEN INC. aus Dreseden war mit der Stückentwicklung ENTER2ESC für den Heidelberger Theaterpreis nominiert, welche im Rahmen des Kulturjahres Sucht in der Landeshauptstadt Sachsens entstanden war. Das Kollektiv, bestehend aus einer Schauspielerin, einer Tänzerin, einer Mus27.10._TiKK_TT18_Ent2Esc2_INikerin und einer Graphikdesignerin, begleitet von einer Produktionleiterin (und einem Hund), befasst sich in ihrer Arbeit mit den Stadien des Crystal-Meth-Entzugs. Inszeniert wird der Kampf gegen die Sucht hierbei in Anlehnung an Computer-Rollenspiele. Nicht nur die dadurch verwirklichte Ästhetik in Kostüm, Bühnenbild, Projektionen, Musik und Sprachsequenzen konnte überzeugen. Der Einblick in die Gedankenwelt, die Gefühle, die Geschichte und Beweggründe, sowie die Auswirkungen auf das Umfeld werden eindringlich erzählt. Eine, wie ich finde, äußerst gelungene Arbeit die dem komplexen Thema gerecht wird.

Die Waggonhalle Marburg präsentierte ihre Produktion „BLACKBIRD“, von David Harrower. Im Stück erlebt der Zuschauer die Wiederbegegnung von Ray und Una, sechzehn Jahre na_DSC3520chdem der damals 38-Jährige Ray wegen Verführung der damals zwolfjährigen Una festgenommen wurde. Opfer und Täter treffen unmittelbar aufeinander. Ein provokantes Stück, das kein klares Rollenschema aufzeigt und die Zuschauerperspektive aus Moral und Unmoral verschwimmen lässt. Noch nie hatte es bei den Heidelberger Theatertagen ein derart langes und gleichsam kontroverses Publikumsgespräch gegeben. Ein Stück das polarisiert hat und von der Jury mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde. Herzlichen Glückwunsch!

Wenn ein Mensch nicht wählen kann, hört er auf, Mensch zu sein.
Charlotte Spenger spürte mit dem Ensemble des Theaters der Keller aus Köln der männlichen Gewalt nach. Anthony Burges „CLOCKWORK ORANGE“ stand auf dem Spielplan im Theater im Romanischen Keller. Ich hatte die große Freude dieses Gastspiel_DSC3567 technisch zu betreuen. Bühne, Licht und Kostüm entwarfen einen Bildsprache, die einen tief in das Geschehen zog. Die fünf Schauspieler glänzten in diesem anderthalb-stündigen Feuerwerk immer zu 100 Prozent mit atemberaubender Präsenz und Genauigkeit im Spiel des Rollenwechsels, durch Sprache und Körperlichkeit. Eine intensive Arbeit, die die Vorlage von Burgess klug umsetzt und durch Reduktion die wesentlichen Inhalte voranbringt und Fragen stellt: Was ist menschlich? Konditionierte Tugend vs. freie Wahl auch zum Boshaften?  Die Jury zeichnete die Produktion mit dem 1. Preis aus. Verdient. Glückwunsch!

Dass die DAKAR PRODUKTION aus Zürich mit einem neuen Stück beim Festival gastieren würde, erfreute mich schon im Vorfeld überaus. Mit „Hin ist Hin“ hatte das Ensemble 2016 den 1. Jurypreis gewonnen. Auf ihr einzigartiges Spiel zwischen Puppe und Schauspieler war ich gespannt. Und mit „MATTO REGIERT“ frei nach Friedrich Glauser _DSC3700überzeugten sie mich mehr als. Im Spiel mit den Puppen, Live auf der Bühne erzeugter Geräuschkulisse, dem Tanz von Licht und Schatten und einem detailversessenen Bühnenbild schuf das Ensemble eine Stimmung, die den Zuschauer tief in die Wirrungen der Anstalt von Chefarzt Dr. Lugener zog. Von Anfang bis Ende war ich gespannt auf jede kleine Bewegung, auf jedes Bild, jede neue Nutzung des Bühnenbildes. Schön, dass ihr wieder in Heidelberg wart.

Politisch wurde es mit der Eigenproduktion „ROSA – Trotz alledem“ von Panse/Kasnter Productions aus Berlin. 100 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges zeigt diese Inszenierung, wie brandaktuell die von Rosa Luxemburg bekämpften Zustände ihrer Zeit noch immer_DSC3816 sind. Dabei nutzte das Ensemble vorwiegend Original-Zitate aus Briefen ihrer Protagonistin. Susanne Jansen überzeugte mit ihrer Darstellung und besonders ihre vielfachen gesanglichen Beiträge (Musik: Annegret Enderle) sorgten für Gänsehaut. Einige Umsetzungen der Stückentwicklungen waren durchaus kontrovers und brachten Gesprächsstoff für das anschließenden Gespräch mit dem Ensemble. Genau das soll Theater schaffen!

Leere Bühne, ein Spot, eine Frau in blauem Kleid mit goldener Flosse: „Iam the director of this performance“. Eine Frau mit roter Perücke: „Iam the director of this performance“. Eine Frau im Cowboy-Dress: „Iam the director of this performance“.
Question: „Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt?“
_DSC3849Hier werden Fragen gestellt, an sich selbst, an die Politik, an die Gesellschaft, an die eigenen Heimaten, an die Ängste die einen mitbestimmen, vor allem die vor dem Versagen vor einer neuen Aufgabe, an die eigene Gefühlswelt.
Question: „Is that an interesting question? Do we interact? Do we open? Do we move? Her og nå.“
Eine autobiographische Stückentwicklung der nomerMaids aus Berlin, ausgehend von der ungarischen Regisseurin Panni Néder, gemeinsam mit Adrien Bazsó und Charlotte Mednansky. Die Zuschauer sind gebannt von dieser Performance. Die drei Performerinnen sind ganz nah am Publikum, mehr und mehr wird es ein Dialog zwischen beiden Seiten, auf der Bühne werden Einblicke in die realen Ängste und Sorgen, in die Biographie gegeben, und vor der Bühne werden wir ein Teil des Ganzen. Bis die Wand völlig bricht und Zuschauer bis auf die Bühne kommen, um die Künstlerinnen zu umarmen. Beeindruckend und bewegend. Die Jury der Studierenden zeichnete die nomerMaids mit ihrem Preis aus und auch die Fachjury honorierte die Arbeit mit einem 2. Jurypreis. Verdient!

Zum Abschluss des Wettbewerbsprogramms sahen wir die Produktion „Name: Sophie Scholl“ (Rike Reininger) von tim – Theater ist mehr aus München. Ein Solo, gespielt von Marget Flach, das die Geschichte von Sophie Scholl, ihren unfassbaren Mut, behandelt und ins hier und jetzt, zu jedem einzelnen im Publikum transportiert. Im Zentrum steht eine Jurastudentin, Namensgleich mit der Heldin der weißen Rose, zufällig jedoch. Die_DSC3886 Sophie aus der Jetztzeit steht von einer Entscheidung: Courage zeigen und im Prozess gegen ihre Professor aussagen, oder wegschauen und an die eigene Zukunft denken? Sie quälen Gewissenskonflikte. Sophie hat Angst vor der eigenen Courage und muss sich eingestehen, nicht den Mut ihrer Namenvetterin zu haben. Die Rückblenden in die Lebenssituation der Widerstandskämpferin Sophie sind dabei Kern der Inszenierung, der Bogen zur Namensvetterin, der Jurastudentin Sophie unserer Zeit, dient dem Zugang zur Reflexion über unsere eigene Courage und der Angst davor. Ein Konzept das bei unserem Festivalpublikum aufging. Die Produktion wurden mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Glückwunsch!

Im Rahmenprogramm des Festivals stand neben unserer legendären Langen Nacht der Rampensau auch ein Gastspiel der Preisträger des Iranischen Theaterfestivals Heidelberg 2018. Die Gruppe Vohuman aus Hamburg um Babak Radmehr gastierte erneut im Theater im Romanischen Keller. Das somit die beiden Festivals in Kooperation treten ist ein schönes Signal.

Ein Fest des freien deutschsprachigen Theaters in Heidelberg, das wir gemeinsam mit den Ensembles, unserem Publikum und den vielen Mitarbeitern und Helfern feiern konnten, liegt damit hinter uns. Für die vielen Begegenung mit euch Künstlerinnen und Künstlern und den vielen theaterbegeisterten Menschen, die Teil des Festivals wurden, bin ich unglaublich dankbar. Highlights in diesem Jahr waren für mich die intensiven Publikumsgespräche. Bei den Theatertagen kann ein jeder ganz nah an den Ensembles sein, fragen, sich austauschen, diskutieren, und Theater eben in seinen vielfältigsten Formen entdecken. Das macht das Festival ganz besonders und einmalig in der Region.

Allen ehrenamtlichen Helfern aus dem Freien Theaterverein, den Vorständen und den Mitarbeitern des Karlstorbahnhofs und des Theaters im Romanischen Kellers möchte ich herzlich Danken.

Jetzt schauen wir voraus.
Denn nach den Theatertagen ist vor den Theatertagen….

K.S.

Photos: Dunkle Linse
Photo Enter2Esc: Captain Kitchen Inc.